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Wenn ich noch 10 Jahre lebe

Wenn ich noch 10 Jahre lebe, so sind das mit den anstehenden Schalttagen 3653 Lebenstage. Wäre dies eine Geldsumme, sagen wir mal in Euro, könnte man zwar von einer hübschen Summe, aber nicht von einem Vermögen sprechen. Demnach hätte ich also nicht mehr sehr viel auf dem Konto. Wenn ich 3653 mit 24 multipliziere, komme ich auf hoffnungsvolle 87672 Lebensstunden. Ich könnte die Rechnung weiterführen und nun davon abziehen, wieviele Stunden ich schlafe, esse, meinen Haushalt aufräume, zur Arbeit gehe und so weiter. Doch darauf kommt es mir nicht an.

Denn dies ist lediglich die Betrachtung eines linearen Zeitstrahls. Nichts wird hier ausgesagt über die Qualität dieser Stunden und die Effizienz von Aktivitäten, die diese Stunden füllen. Die Rechnung sagt nichts aus über die subjektiv empfundene Zeit einer mit Tiefe gefüllten Stunde, einer jener Stunden, die für immer im Gedächtnis bleiben. Eine Stunde wahrhaft gelebter Zeit,

in der die Sinne wach sind,

in der in das Sammelalbum des Bewusstseins eine neue Erkenntnis hineingeschrieben wird,

in der ein Windstoß der Inspiration das Lebensschiff – vielleicht nach einer Flaute – weitertreibt oder in eine neue Richtung lenkt,

in der Liebe und Harmonie unter uns Menschengeschwistern eine tiefe seelische Befriedigung hinterläßt,

in der die Stille einer zufriedenen und demütigen Seele die Verbundenheit mit allem Leben fühlbar werden lässt, die All-Einheit, durchströmt vom Fluss der All-Liebe…

Was auch immer diese eine Stunde geprägt hat, sie wird zu unserem immerwährenden Besitz, der sogar noch Zinsen bringt, wenn unsere Erinnerung nicht mehr richtig funktioniert. Könnten wir nicht mehr von diesen Stunden erleben? Was muss getan werden, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen? Wie kann die Heiligkeit des erlebten Augenblicks dem Bewusstsein besser zugänglich werden?

Und heißt das, alle Stunden, in denen ich keine Zeit für mich selbst habe, weil arbeiten, Kinder erziehen, aufräumen, waschen, putzen, staubsaugen usw. diese Stunden füllen, verlorene Zeit sind? Ist nur das Leben wertvoll, das uns über die Einfachheit alltäglicher Tätigkeiten erhebt?

Es lohnt sich, den eigenen Konzepten und Vorstellungen vom Umgang mit der Zeit auf die Schliche zu kommen, und auch, dem Monster namens „Zeitnot“ in die Augen zu sehen. Ganz schnell kommen wir dabei zu der Fragestellung „WIE?“: Wie tue ich etwas,

wie nehme ich wahr,

wie vertieft bin ich in meine Tätigkeit,

wie fülle ich die Stunde und teile die Zeit ein,

wie eng ist mein selbstgeschaffenes Korsett meiner Vorstellungen,

wie reagiere ich auf Zeitfressergeschosse, die von außen auf mich abgefeuert werden, auf Störmanöver, die meine Vorhaben blockieren?

Wie wach bin ich eigentlich, mein Leben zu leben?

Bin ich wachsam?

Bin ich lebendig?

In dem gewaltigen, unvorstellbar komplexen Uhrwerk der Lebensprozesse ist mein Leben eingewoben als ein winziges, aber bedeutsames Rädchen. Solange es sich dreht, lebe ich. Ich kann das Rädchen weder anhalten noch eine Position nachholen oder überspringen. Aber ich kann seine Bewegung wahrnehmen. Ich kann die Bewegung anderer Rädchen wahrnehmen. Ich kann auch meine Drehung verlangsamen oder beschleunigen. Zeit ist ein Mysterium. Je mehr wir sie beherrschen wollen, desto mehr entgleitet uns das Leben. Wir haben nicht die Macht, das Uhrwerk zu verändern oder anzuhalten. Wir haben nicht das Recht, andere Rädchen an der Bewegung zu hindern.

Und so habe ich entschieden, dass ich gut daran tue, mich freudig zu drehen, so mit Freude angetrieben, dass meine Drehung Strom erzeugt. Soviel Strom, dass meine Stunden in die Festplatte meines Bewusstseins eingeschrieben werden können.

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