Reisen

Vegan in Island

Zu den Ländern, auf deren Boden Mowgli wegen der strengen Einreisebestimmungen für Tiere wohl nie seine Pfote setzen wird, gehört das sagenumwobene Island.

Was für ein Land! Episch wie die Musik von Sigur Rós und bizarr wie Werke von Björk. Mondlandschaften, glitzerndes türkisblaues Wasser, Weite mit schneebedeckten Vulkanen in der Ferne, schwarze Böden, blasser Himmel, grüne Erde…

Anstelle eines Tourberichts mit Beschreibung der Sehenswürdigkeiten, die im Internet gut dokumentiert sind, habe ich hier einige Eindrücke für dich:

Ja, auch wir waren im Thingvellir, bei den Geysiren und in der Blauen Lagune – eine liebe Freundin und ich, die wir in 2013 das Vulkan- und Eisland bereisten. Mowgli gab es damals noch gar nicht. Ich erinnere mich daran, wie verloren ich mich in der weiten Vulkanlandschaft fühlte, wie ich in diesem kühlen Islandsommer mit trockenen, aufgesprungenen Lippen zu kämpfen hatte, wie heimelig unser kleines Ferienhäuschen war, wie großartig der Abendhimmel mit den aufgetürmten rosafarbenen Wolken aussah, wie wir „101 Dalmatiner“ auf isländisch im Fernsehen sahen und definitiv das Wort für „Hund“ = „hundur“ (sprich „hündür) lernten, wie ich mir wünschte, eines Tages im Winter nach Reykjavik zurückkehren zu können… Viele einzelne Eindrücke und weniger eine erzählbare Geschichte.

Reisevorbereitung mit Sorgen

Nach vielen Jahren vegetarischer Ernährung war ich irgendwann dazu übergegangen, mich vegan zu ernähren und fragte mich, ob und wie wir unseren Hunger stillen könnten ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Auch ohne die angeblich typisch isländischen Spezialitäten wie Hákarl, also fermentierten (eigentlich verrotteten) Haifisch, oder halbe Schafsköpfe zu probieren, war jede Form von totem Tier, sei es Fisch, Stockfisch, Lamm oder anderes Fleisch für unsere Ernährung völlig indiskutabel, aber wir wollten auch nicht von Käse und Skyr leben.

Zu unserer Überraschung aber stellten wir fest: es war eigentlich ganz einfach und es gibt sogar eine vegane Szene in Island. Mit der App von Happy Cow ist man außerdem bestens ausgerüstet, vegane Futtertröge im entlegensten Winkel der Erde zu finden.

Aber warum machten wir uns gerade vor dieser Reise solche Sorgen? Naja, ein Blick auf die Historie und die Fragestellung, was so hoch im Norden denn wachsen kann, bringt einen schon zum Nachdenken.

Isländische Landwirtschaft und isländische Küche

Tatsächlich ist es so, dass nur ein kleiner Teil der landwirtschaftlichen Fläche Islands zum Anbau von Gemüse genutzt wird und dass es für viele Sorten einfach zu kühl dort ist. Kartoffeln, Kohl und Rüben aber sind kein Problem.

Dass nach Ankunft der Wikinger im Jahr 870 auch eine massive Abholzung der Wälder stattgefunden hat und die Wikinger eine intensive Tierwirtschaft statt einer nachhaltigen Bodenbewirtschaftung betrieben, hatte die Erosion großer Flächen zur Folge. Seit etwa 100 Jahren bemüht man sich aber, Islands Wald wieder aufzuforsten und die Setzlinge vor den hungrigen Schafen zu schützen.

Und die findet man überall. Island hat angeblich mehr Schafe als Einwohner. Die hübschen, eher kleinen Schafe dürfen den ganzen Sommer lang frei umherstreifen bis sie dann im Herbst wieder eingesammelt und in ihre warmen Ställe gebracht werden. Gelegentlich sahen wir sie in Dreiergrüppchen am Straßenrand stehen, als wollten sie uns zuwinken.

Fisch

Für die isländische Ernährung spielt der Fischfang eine entscheidende Rolle, ebenso die Zucht von Süßwasserfischen.

Als Kind war ich fasziniert von Seefahrergeschichten und wusste außerdem alles über Wale, die ich auch heute noch sehr bewundere. Geschichten von isländischen Walfängern aber hatten für mich den Rang von Horrorgeschichten. Kommerzieller Walfang spielt heutzutage für Island kaum noch eine Rolle, nachdem das Land im Jahr 1986 das Walfangverbot des IWC akzeptiert hatte.

Anders sieht es mit Fisch aus. Mit Stockfisch, also getrocknetem und von der Seeluft gepökelten Fisch, kommt man über den Winter.

Interessant ist auch: es hat Zeiten gegeben, wo Brot und überhaupt Getreide ein Luxusprodukt war.

Obst und Gemüse

Während also die isländische Küche aus historisch und klimatisch nachvollziehbaren Gründen fleisch- und fischbasiert ist, überrascht es umso mehr, dass in Island auch Bananen angebaut werden, und zwar bereits seit den 1950er Jahren. Treibhäuser und isländische Erdwärme machen es möglich. Man erforscht ebenso den Anbau von Kaffee und Orangen und produziert Gurken, Paprika, Tomaten und Salat in Treibhäusern. Ansonsten wird Obst und Gemüse zum großen Teil importiert.

Muss es also ausgerechnet in Island sein, auf vegane Ernährung zu bestehen? Die Frage müsste anders gestellt werden: Ist es möglich? Und das ist es zweifellos, wenn auch (scheinbar) schwieriger als anderswo. Was gewisse Probleme wie die Versorgung mit Vitamin D3 angeht, das wie auch die wichtigen Omega-3-Fettsäuren reichlich in Fisch enthalten ist, so sollte man sich vergegenwärtigen, dass beides auch in unseren Breiten supplementiert wird. Dazu kann man sehr gut auf Algenöl zurück greifen, und das ist vegan.

Unsere Strategie

Um nicht ständig auf Futtersuche gehen zu müssen, hatten wir ein Sommerhäuschen und einen kleinen Jeep gemietet, den Suzuki Jimny. Der ist wirklich niedlich, mit seinem Allradantrieb und der Bodenfreiheit war er aber auf den holprigen Strecken, auf denen wir unterwegs waren, unverzichtbar. Am Flughafen Keflavik holten wir also den Kleinen und den Schlüssel für das Haus ab, fuhren nach Reykjavik und kauften in einem großen Bioladen, den es offenbar heute nicht mehr gibt (jedenfalls habe ich ihn auf Happy Cow nicht mehr gefunden) alles, was man so in zwei Wochen essen muss und was in den Minijeep passte. Gut ausgerüstet ging es weiter nach Borgarnes, wo irgendwo in der Nähe das Häuschen sein sollte. Wir studierten die Wegbeschreibung wieder und wieder und fuhren mehrmals den tief gefurchten Feldweg ab, der jedes normale Auto wahrscheinlich ruiniert hätte, fanden aber schließlich das Häuschen nur, weil uns freundliche Menschen weiterhalfen. Nachdem wir all unser Zeug und die unzähligen Einkaufstüten ins Haus geschleppt hatten, genossen wir auf der Terrasse die Stille und den wunderschönen Ausblick auf die Berge.

Hier fühlten wir uns sehr wohl. Die Besitzer des Hauses hatten es mit viel Liebe selbst gebaut, wie wir aus der Fotodokumentation im Gästebuch entnehmen konnten.

Von hier aus unternahmen wir nun unsere Touren ins Landesinnere, zu den Geysiren, zum Snæfellsjökull, zum Thingvellir, zum Gullfoss… und kehrten am Abend mit großartigen Eindrücken zu unserer stillen Homebase zurück.

Die letzten Tage verbrachten wir in Reykjavik, machten einen Ausflug zur Blauen Lagune (etwas teuer, aber unbedingt zu empfehlen!), eine Whalewatching-Tour und erkundeten die Stadt. Hier fanden wir auch ein veganes Café mit köstlichem Kuchen. Seit 2013 hat sich anscheinend einiges verändert, deshalb seht am besten auf Happy Cow nach.

Außerdem besuchten wir den Laden mit den wunderschönen Islandpullovern, den wir natürlich nicht ohne Beute wieder verließen.

Ist Wolle vegan?

Natürlich nicht! Da ich immer wieder gefragt werde, wieso ich im Winter meine geliebten Islandpullover aus Lopi-Wolle trage, wo ich mich doch vegan ernähre, möchte ich mich an dieser Stelle einmal dazu äußern.

Als ich mich entschloss, Vegetarierin zu werden, ging es darum, das Töten von Lebewesen zu vermeiden. Wir sind ja heutzutage über die Fragestellung hinaus, ob Tiere eine Seele haben. Wer einen Hund zum Freund hat, weiß, dass es so ist. Die meisten Menschen, die Tiere halten, sprechen mit ihnen und ihre Tiere antworten – auf ihre Weise. Dennoch werden die Tiere, insbesondere die sogenannten Nutztiere (schon die Bezeichnung sagt alles!), schlecht behandelt, gequält und getötet, und zwar im großen Stil. Unsere Gleichgültigkeit dieser Tatsache gegenüber ist eine kulturelle Katastrophe, mit der wir nicht nur den Tieren, sondern auch uns selbst schaden. Insbesondere die Massentierhaltung zeigt die Mißachtung der Heiligkeit des Lebens.

Wenn man tiefer in die Problematik einsteigt, wird man sich dessen bewusst, dass auch der massenhafte Konsum anderer Tierprodukte, insbesondere Milchprodukte, entscheidend zum Tierleid beiträgt. (Dass es gesundheitliche Vorteile bringt, auf Milchprodukte zu verzichten, überspringe ich an dieser Stelle einmal.) Hierzu gibt es inzwischen so viele gute Dokumentationen, dass sich jeder informieren kann. Die logische Konsequenz wäre dann also, auf alles zu verzichten, wo in irgendeiner Weise Tier drin ist.

Keine einfache Lösung

Doch das ist meiner Meinung nach auch nicht das Allheilmittel des Problems. Macht es wirklich Sinn, auf Wollpullover zu verzichten und stattdessen Fleecepullis zu tragen, die bei jeder Wäsche Kunststofffasern ins Wasser abgeben, die wiederum eine Belastung für Umwelt und Tierwelt sind, mal ganz abgesehen davon, dass die natürliche Wärme, die ein Wollpullover abgibt, nicht von Kunststoff erreicht werden kann?

Es macht einen Unterschied, ob Mensch und Tier in Symbiose zusammenleben oder ob der Lebenszweck eines Tieres darin besteht, ausgenutzt und ausgebeutet zu werden. Jemand, der einige Hühner hält und nicht alle Eier ausbrüten lässt, sondern einige zum Frühstücksei erklärt, verhält sich anders als jemand, der riesige Legebatterien bewirtschaftet mit den bekannten negativen Folgen für das einzelne Tier. Um einem Schaf einen Kurzhaarschnitt zu verpassen, muss man es nicht töten. Man braucht es auch nicht zu verletzen, wie es gewohnheitsmäßig bei der Schur in einigen Ländern geschieht.

Wenn eine Massentierhaltung aus Profitgründen mit lebensfeindlichen Maßnahmen stattfindet, wenn Wolle zu Dumpingpreisen mit tierfeindlichen Methoden produziert wird, wenn Kälbchen generell die Milch ihrer Mutter nicht mehr bekommen, obwohl sie ihnen zusteht, und stattdessen von ihrer Mutter getrennt werden, wenn die Kuh ein Vielfaches an Milch abliefern muss, als sie natürlicherweise täte, dann ist der vegane Weg die Antwort darauf, um nicht zum Mittäter zu werden.

Mein Vorschlag

Seitdem ich diesen Weg eingeschlagen habe, scheint sich VEGAN jedoch zu einer Modeerscheinung ohne Augenmaß entwickelt zu haben. Wenn die vegane Lebensweise zur Ersatzreligion wird, bei der die nicht ganz so Orthodoxen verachtet werden, finde ich das ebenso verstörend wie die inzwischen ausufernde Palette von Produkten mit Veganlabel, die zum Teil alles andere als gesund sind. Wer zum Beispiel Sojaprodukte in großem Maße verzehrt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Schilddrüse sich plötzlich komisch verhält.

Die Sache ist nicht schwarz oder weiß zu betrachten. Es kommt auf das Bewusstsein an. Natürlich weiß ich, dass auch in Island Schafe geschlachtet werden. Das mag ich nicht. Aber sie dürfen Tier sein. Und soweit mir bekannt ist, leidet ein Schaf auch, wenn es nicht geschoren wird. Ich plädiere also dafür, sich die Sache genau anzusehen und von Fall zu Fall zu entscheiden, was man mit seiner Kaufkraft unterstützt und was nicht.

Ich denke, mit Natürlichkeit, Augenmaß und Vernunft kommen wir weiter als mit Feindbildern.

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