Mowgli

Mowglis letzte Reise

Es kam der Tag, an dem Mowgli nicht mehr aufstehen wollte. Es kam überraschend, auch wenn sich schon länger Probleme bei meinem alten Freund gezeigt hatten, sodass ich bereits in Rumänien das Gefühl hatte, dass die Zeit des gemeinsamen Reisens bald ein Ende finden könnte.

Der Tag zuvor war in besonderer Weise harmonisch gewesen. Während es draußen stürmte und heftig regnete, lagen er und Gina, ein 12 Wochen altes rumänisches Straßenhundmädchen, das vor Kurzem zu uns gestoßen war, friedlich in meiner Nähe und dösten. Ich freute mich auf eine Zukunft mit zwei lieben Hunden und war ausgesprochen glücklich.

Gina hatte sich bereits einiges von ihrem großen Freund abgeschaut und dieser akzeptierte sie, auch wenn er ihrem Überschwang von Zeit zu Zeit deutliche Grenzen setzte.

Einen Tag später war alles anders. Als ich Mowgli schließlich überzeugen konnte, mit mir hinauszugehen, kam er kaum vom Fleck und musste zu jedem Schritt ermuntert werden. An der Ecke, an der er sich normalerweise löste, blieb er stehen, witterte in verschiedene Richtungen und blickte in die Ferne, als riefe ihn jemand.

Er stellte sich heraus, dass er außer einem Harnverhalt auch nicht in der Lage war, Kot abzusetzen. Ein Besuch bei seiner Tierärztin brachte zwar Erleichterung, doch die Situation blieb kritisch. Er hatte schon länger einen inoperablen Tumor, den wir mit Spinnengift einigermaßen in Schach gehalten hatten, sowie Probleme mit seiner Prostata. Aber nun zeigte sich das Bild eines Zusammenbruchs und schnellen Verfalls.

Beinahe schien es so, als habe er auf die Stabübergabe an einen anderen lieben Hund gewartet, der von nun an auf mich aufpassen könnte.

Mit ein paar Medikamenten und wenig Hoffnung ausgestattet, nahm ich ihn noch einmal mit nach Hause, damit nicht nur ich mich, sondern auch er sich verabschieden konnte. Während er auf seiner Couch lag und die meiste Zeit schlief oder döste, tauchten viele Szenen unseres gemeinsamen Lebens in meiner Erinnerung auf, schöne Bilder von unseren Reisen, Mowgli als junger Hund, seine kleinen Abenteuer, bei denen er mich ausgetrickst hatte, unser gemeinsames Schwimmen im See… – ach, so vieles, das uns Freude gemacht hatte.

Manchmal weinte ich und wischte auch ihm einige Tränen aus den Augenwinkeln. Zwischendurch sahen wir uns an und mir schien, als wüsste er, dass er seinen Körper bald verlassen würde. Er hatte keinen Appetit und wollte nicht einmal mehr seine geliebten Nüdelchen essen, nahm aber dankbar das Wasser an, das ich ihm reichte.

Wenn er sich aufrappelte, um mit mir zu seinem Löseplatz zu gehen, den er nur mit Mühe erreichte, sah er sich alles noch einmal genau an und blieb oft stehen.

Wie bei einem sterbenden Menschen kam dann eine Phase, in der er offenbar wieder etwas mehr zu Kräften kam. Ich freute mich darüber, dass er außerdem einige Leckerchen annahm.

Leider gab es aber keine Aussicht auf Genesung. Nach einem letzten kurzen Gassigang stieg er bereitwillig ins Auto, das ihn zu seiner Tierärztin brachte.

Dort lief alles würdevoll, sicher und schmerzlos ab.

Eine gute halbe Stunde später war bereits der Tierbestatter da, der den Körper meines geliebten Freundes zur Einäscherung mitnahm.

Ich holte Gina aus der Hundebetreuung ab und brauchte eine Weile, mich an die neue Situation zu gewöhnen und die Herzschmerzen zu überwinden. Gina, mein Hundekind, deren zweiter Name „Mis(s) Chief“ ist, gibt sich alle Mühe, mich mit ihrem Charme um die Pfote zu wickeln. Aber das ist eine neue Geschichte…

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