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Mein Freund, der Baum

„Mein Freund, der Baum, ist tot…“ sang Alexandra 1968. Der alte Freund aus Kindertagen fiel im frühen Morgenrot.

Als ich gut 10 Jahre später dieses Lied zum ersten Mal hörte, rührte es mich zu Tränen. Hatte ich doch selbst in meiner Kindheit solch einen Baum als Freund gehabt, auf den ich aus meinem Kinderzimmerfenster blicken konnte. Frühling, Sommer, Herbst und Winter las ich an „meiner“ stattlichen Birke ab, ich beobachtete den Wind, der mit den Blättern spielte und manchmal in den Ästen wühlte, den Glanz des Sonnenlichtes auf jedem Blatt, schillernde Tropfen nach einem Regen. Während ich Musik hörte, träumte ich mich in diesen lebendigen Tanz hinein.

Später habe ich bei der Wahl meiner diversen Wohnungen stets darauf geachtet, dass ich zumindest aus einem Fenster in einen Baum blicken konnte.

Wenn man einen gesunden Baum umarmt oder auch nur die Hand auf die warme Borke legt, kann man etwas von seiner pulsierenden Kraft spüren. Ein Spaziergang im Wald hilft uns dabei, uns zu regenerieren, zu kräftigen, zu heilen, auch dann, wenn wir nicht bewusst die verschiedenen Farbnuancen der Baumgesellschaft und die ätherischen Düfte, die sie verströmt, wahrnehmen. Wir atmen tiefer durch und fühlen uns erfrischt.

Bäume sind wie Antennen zwischen Himmel und Erde. Mit ihrem Wurzelwerk, das die Form ihrer Krone spiegelt, verankern sie sich in der Erde und ziehen Wasser und Nahrung in Stamm und Peripherie. Sie atmen aus und atmen ein und reinigen dadurch die Luft. Sie bieten Wohnung für viele Lebewesen und Trost für gestresste Augen. Ihre Früchte wiederum nähren die Erde – ein perfekter Kreislauf.

Sie sind Symbol für Leben, Wachstum und auch Standhaftigkeit – so wie dieser Baum, den ich in Island fotografiert habe. Scheinbar einsam trotzt er Wind und Wetter und hält den Stürmen stand, auch wenn diese ihre Spuren hinterlassen haben. Dieser Baum hält sich nicht nur an der Erde fest, sondern bindet diese auch an sich. Ohne ihn ist die Landschaft der Erosion ausgesetzt. Nachdem in früheren Zeiten die isländischen Wälder durch Abholzung verschwanden, erkannte man die Notwendigkeit, diesen Vorgang durch Wiederaufforstung rückgängig zu machen. Und so konnte man im Oktober 2019 lesen, dass Islands höchster Baum jetzt 28,70 Meter hoch ist.

Während es so aussieht, als stünde jeder Baum allein, weiß man doch inzwischen, dass er über sein Wurzelwerk mit anderen Bäumen seiner Umgebung auf faszinierende Weise kommuniziert, wie man zum Beispiel hier nachlesen kann: https://naturwald-akademie.org/waldwissen/waldtiere-und-pflanzen/baeume-tauschen-sich-aus/

Bäume schenken uns soviel und wir können von ihnen lernen. Ich möchte stark sein wie ein Baum – fest verwurzelt und die Antennen zum Himmel gerichtet.

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