Campervolk
Schon von weitem sieht man das Dörfchen aus Zelten, kleinen und großen Campingbussen und weißen, in der Sonne strahlenden Wohnmobilen und Wohnwagen. Es liegt in eine Mulde eingebettet zwischen Kornfeldern und Wald.
Eine der Behausungen gehört mir, denn für eine nach Tagen bemessene Zeit gehöre ich auch zu dem Völkchen, das hier siedelt. Zusammengewürfelt aus verschiedenen Nationalitäten, einige solo, einige als Paar oder Familie, mit und ohne Hund, leben wir hier in einträchtiger Nachbarschaft nach einer Camper-Etiquette, die fast jeder intuitiv befolgt – ausgenommen vielleicht die, die unter Freiheit verstehen, stundenlang laute Musik abzuspielen, die niemand außer ihnen hören will, und jenen, die irgendwie durch fehlgeschlagene Erziehung auffallen… Manche Leute sieht man nur einen Tag, dann sind sie wieder auf Achse, andere werden zu Nachbarn für die ganze Zeit, in der man selbst dort ist.
In der Regel trifft man hier auf ein besonders freundliches und ausgeglichenes Volk mit einer großen Bandbreite an Toleranz und Fairness. Ganz gleich, aus welchem Land du kommst – das Campen scheint der Inbegriff friedlichen Zusammenlebens zu sein. Leben und leben lassen.
Man sagt sich guten Tag, lächelt sich gegenseitig an, wartet geduldig in der Schlange, wenn mal wieder alle auf einmal spülen oder sich duschen wollen, und kommt nicht selten miteinander in ein freundliches Gespräch.
Man hat sein eigenes „Haus“ mitgebracht und sich eingerichtet. Ich finde es interessant, die verschiedenen Konzepte zu studieren, insbesondere die der selbst ausgebauten Campervans. Teilweise sieht man wirklich originelle Lösungen. Manchmal besuchen sich Fremde gegenseitig, um die Lösungen der anderen kennenzulernen. Wir alle haben nicht nur unser eigenes Bett dabei, sondern einen kompletten Mini-Haushalt. Niemanden stört die Wäscheleine, die zwischen zwei Bäumen gespannt ist, oder der Campingstuhl, der mit der Sonne wandert. Das ist normal.
Was treibt uns eigentlich an, unser sicheres Zuhause und bequemes Bett hinter uns zu lassen und für eine gewisse Zeit ein eher einfacheres und unbequemeres Leben zu führen? Sich Regen, Wind, Gewitter auszusetzen? Zugegeben – die Bandbreite zwischen Basic Camping und der absoluten Luxusvariante von hochpreisigen Wohnmobilen ist enorm. Nicht immer also ist es die Kostenersparnis, die uns auf den Campingplatz bringt. Diese ist sicherlich in vielen Fällen eine Illusion, wenn man die tatsächlichen Kosten für Wohnmobil und Ausrüstung berücksichtigt. Vielleicht eint uns die Freiheit, jederzeit einen anderen Ort aufsuchen zu können, wenn uns danach ist. Freiheit und Abenteuer, auch wenn die Realität heißt, Waschraum und Toilette mit anderen zu teilen, wenig Privatsphäre zu haben, sein Essen auf nur einer Flamme zu kochen, das Zelt mit ein paar Insekten zu teilen… Liegt die Freiheit in der Selbstbeschränkung? Oder der Reiz darin, einfach draußen zu sein, an einem Ort aufzuwachen, an dem man noch nicht war? Oder einfach alles dabei zu haben, was man wirklich braucht? Schon erstaunlich, dass die gesamte notwendige Habe in einen PKW passt…
Was auch immer die Beweggründe sein mögen, das Gefühl der Freiheit spielt sicherlich eine entscheidende Rolle. Freiheit als ein menschliches Grundbedürfnis. Freiheit und Gerechtigkeit sind Geschwister – ähnlich unzertrennlich wie Kastor und Pollux.
Abends brennt hier ein kleines Tischfeuer, dort sitzt eine Gruppe bei Kerzenlicht um einen Tisch versammelt, fröhliches Lachen, jemand spielt Gitarre, ein Kind weint, am Horizont leuchten die Farben der untergehenden Sonne…
Wir machen die letzte Gassirunde vor dem Schlafengehen durchs Dorf. Nun spannt sich der Sternenhimmel über den Platz, die letzten Camper mit Zahnbürste und Handtuch verlassen das Sanitärgebäude. Ich sehe noch eine Weile in die Sterne, während mein Hund neben mir döst. Eigentlich könnte ich das zuhause auch mal machen…