Reisen

Auf den Spuren des Lichts – Frankreich 2022

Ruhig gleitet das Fahrzeug über die fast leere Autobahn in der Normandie in Richtung Rouen, wo unser letzter Schlafplatz für diese Reise sein wird. Die Sonne steht schon sehr tief und ich fühle die Abendstimmung, die mich entspannt und beruhigt. Ich höre dem Surren und Singen des Windes zu, der an der Dachbox vorbeistreift und meine Gedanken kreisen um die Erlebnisse dieser Reise. Hinter meinem Fahrersitz ist der fiebernde Hund eingeschlafen, und das ist gut so. Wir fahren nach Hause, damit er sich besser auskurieren kann.

Drei Wochen wird das dauern, hatte die Tierärztin gemeint, nachdem sie seine Kruppe und seine Rute geschoren und ihm einen Trichter um den Kopf gelegt hatte. Was genau die Ursache war, dass er sich blank leckte, ist unklar. Jedenfalls haben sich seine Wunden entzündet und die Infektion und der Schmerz, insbesondere an seiner Rute, gebieten es, so schnell wie möglich in die gewohnte ruhige Umgebung zuhause zu kommen, wo seine Wunden am besten versorgt werden können.

So schnell wie möglich heißt in diesem Fall, die rund 1300 Kilometer von Nouvelle-Aquitaine in zwei Etappen zurückzulegen.

Ich bin nicht enttäuscht, dass ich die Reise so plötzlich beenden muss, denn alle Etappen und Ziele, die ich mir gesetzt hatte, konnte ich „abarbeiten“, alle Ziele bis auf eines. Und dieses steuerte ich gerade an.

Die Nationalheldin

Eingetragen in das Buch der Menschheitsgeschichte sind Episoden, die äußerst tragisch sind und der Ausheilung bedürfen. Eine davon ist die Geschichte von Jeanne d’Arc. Jeanne oder Jehanne, wie sie auch genannt wurde, hatte nur einen kurzen Auftritt auf der Weltbühne, da sie diese schon mit 19 Jahren wieder verlassen musste. Doch dieser kurze Auftritt hatte einen solch tiefgreifenden Einfluss auf das damalige Frankreich, dass man sie später zur Nationalheldin erklärte. Ihr Leben und ihre Haltung haben darüber hinaus viele Schriftsteller, Dichter, Musiker und Künstler inspiriert.

Ich wollte ihrer Geschichte, die ich nie ganz verstanden hatte, etwas näher kommen und deshalb hieß mein erstes Etappenziel Domrémy, ein kleines Dorf in Lothringen. Landschaftlich schön gelegen und eingebettet in Wiesen, Felder und Wälder besteht die besondere Bedeutung dieses Ortes darin, dass er der Geburtsort von Jeanne ist, die als Kind einer wohlhabenden Bauernfamilie hier aufwuchs. Nicht nur hat man ihr Geburtshaus erhalten und zu einem Museum umgestaltet, sondern man hat ihr auch Denkmäler errichtet, die uns eine Idee davon geben, wie sie ausgesehen haben mag und was sie bewegt hat.

Vieles ihrer Lebensgeschichte ist gut dokumentiert, während einiges auch im Dunkeln bleibt, wie zum Beispiel der Inhalt der persönlichen Unterredung mit dem Dauphin Karl VII. Die Prozessakten der beiden Inquisitionsprozesse sind vollständig erhalten. So lässt sich in etwa folgendes Bild skizzieren:

Frankreich im Jahre 1412, dem mutmaßlichen Geburtsjahr von Jeanne, befindet sich mitten im Hundertjährigen Krieg. Seit 75 Jahren stehen die englische und die französische Krone im Krieg gegeneinander, wobei die englische Armee zu diesem Zeitpunkt weite Teile Frankreichs erobert hat. Doch es sind nicht nur die politischen Gegner, die das Geschehen dieser Zeit bestimmen, sondern auch die allgegenwärtige katholische Kirche, die tief in die Machtspiele involviert ist und in Jeannes Geschichte die entscheidende unrühmliche Rolle spielt.

Jeannes Mission

Die kleine Jeanne wächst als ein sehr religiöses Kind auf und wird im Alter von 13 Jahren von tiefgreifenden mystischen Erlebnissen erschüttert, von denen sie im späteren Prozess, der ihr gemacht wird, berichtet. Sie gibt an, dass sie in ihren Visionen die Stimmen der Heiligen Katharina, der Heiligen Margareta und des Erzengels Michael wahrnimmt. Als im Jahre 1428 der Krieg auch ihr Dorf erreicht, vernimmt sie den Auftrag, Frankreich zu befreien und den Dauphin Karl VII zur Krönung nach Reims zu führen.

Ihr Entschluss steht fest und lässt sich durch nichts erschüttern: sie muss den Dauphin sehen und ihm ihre Hilfe anbieten. Im Januar 1429 verlässt sie ihr Elternhaus, um den Stadtkommandanten von Vaucouleurs aufzusuchen, der sie zum Dauphin nach Chinon bringen kann. Es braucht mehrere Versuche und viel Überzeugungskraft, bis der königliche Verwalter ihr endlich glaubt und ihrem Wunsch Rechnung trägt. Allerdings muss sie für die Reise Männerkleidung anlegen und ein Schwert tragen.

Anfang März trifft sie in Chinon ein, wo man ihr zunächst einen falschen Dauphin präsentiert. Jedoch bemerkt sie den Betrug sofort und erkennt den wahren Dauphin in der Menge der Höflinge, was für die Anwesenden einem Wunder gleichkommt. Es folgt laut Überlieferung eine lange Unterredung unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen Jeanne und dem Dauphin, der ihr mit Skepsis begegnet und ihre Glaubwürdigkeit in Befragungen überprüfen lässt. Als letzten Beweis wird die Überprüfung ihrer Jungfräulichkeit gefordert – mit positivem Ergebnis. Hierzu muss man wissen, dass man in diesen Zeiten schnell dem Vorwurf der Hexerei oder Ketzerei ausgesetzt war, erst recht, wenn man von mystischen Erlebnissen wie Visionen berichtete. Jungfräuliche Reinheit war jedoch ein hohes Gut und eine Jungfrau stand nicht im Verdacht, sich mit dem Bösen eingelassen zu haben. Stattdessen war man geneigt, diese religiösen Erfahrungen als göttliche Hinweise zu verstehen. Darüber hinaus existierte in der Region, aus der Jeanne kam, offenbar auch die Legende, dass eine Jungfrau aus dem Eichenwald kommen und Frankreich befreien würde.

Als nach der Überprüfung ihrer Glaubwürdigkeit nun auch die Geistlichen ihre Zustimmung geben, lässt man ihr eine Rüstung anfertigen und stellt ihr eine militärische Einheit zur Seite mit dem Auftrag, Proviant nach Orléans zu bringen. Die Truppen in Orléans lassen sich motivieren, die Engländer anzugreifen. Jeanne reitet in vorderster Front mit und wird von einem Pfeil getroffen. Dennoch besteht sie darauf, am Kampfgeschehen weiter teilzunehmen, was einen enormen Motivationsschub für die Soldaten bedeutet. Es gelingt ihnen schließlich, die Engländer vollständig aus der Stadt zu vertreiben und somit Orléans zu befreien.

Aufstieg und Fall

Bis hierhin kann man nur staunen über den Mut, die Zielstrebigkeit und das Selbstbewusstsein dieses erst 17 Jahre alten Mädchens, das in Männerkleidung und Rüstung mit kurzgeschnittenen Haaren, das Banner haltend, den Soldaten voranreitet, um deren Tapferkeit zu stärken. Jeanne wird als Heldin gefeiert, auch wenn ihre Rolle offenbar einigen der Männer nicht gefallen hat.

Es bleibt nicht bei der Befreiung von Orléans am 8. Mai 1429. Bis Juni sind die Engländer aus allen Stellungen südlich der Loire vertrieben. Am 17. Juli 1429 wird der Dauphin in Reims zum König Karl VII von Frankreich gesalbt und Jeanne wird dabei die Ehre zuteil, an seiner Seite zu stehen.

Somit hätte sie ihre Mission eigentlich erfüllt. Nun beginnt jedoch ein Machtgerangel. Während Jeanne den König wiederholt bittet, nach Paris vorstoßen und den Siegeszug gegen die Engländer fortsetzen zu dürfen, arbeiten die königlichen Berater gegen sie und bemühen sich, ihren Einfluss auf den König zu untergraben. Der König ist an einem Frieden mit Burgund interessiert. Zwar gibt er schließlich seine Zustimmung für einen Angriff auf Paris, doch als dieser Versuch im September 1429 misslingt, zieht er seine Truppen zurück und entzieht Jeanne seine weitere Unterstützung.

Verraten und verkauft

Unterdessen lässt der mit den Engländern verbündete Herzog von Burgund, Philipp III, den Krieg wieder aufleben und belagert im Mai 1430 die Stadt Compiègne. Jeanne, die mit einer kleinen Armee ohne Rücksprache mit dem König zu Hilfe eilt, wird von der Burgundern festgenommen und nach sieben Monaten Gefangenschaft und zwei gescheiterten Fluchtversuchen schließlich für 10.000 Franken an die Engländer verkauft. Um das Ansehen des französischen Königs zu schwächen, beschließt man, sie anstatt vor ein Militärgericht vor ein Inquisitionsgericht zu stellen, und beauftragt den Bischof von Beauvais mit der Organisation und Durchführung des Prozesses. Falls es gelänge, Jeanne als Hexe und Ketzerin zu verurteilen, brächte man zugleich zum Ausdruck, dass sich Karl VII von einer höchst zweifelhaften Person habe beraten lassen.

An dieser Stelle frage ich mich, ob der König, dem Jeanne Treue schwur und der der „Jungfrau von Lothringen“ soviel zu verdanken hatte, zumindest erwogen hat, ihr beizustehen und einen Versuch zu ihrer Rettung zu unternehmen. Möglichkeiten, sie aus der Gefangenschaft zurück zu kaufen, oder sie gegen einen anderen Gefangenen, z.B. den englischen Oberbefehlshaber Talbot, auszutauschen, hätte es wohl gegeben. Tatsache jedoch ist, dass Jeanne im Stich gelassen wird, und es ist offensichtlich, dass sie im Ziehen und Zerren unterschiedlicher Machtinteressen geopfert wird, ungeachtet ihres Auftrags, ihres Ruhms und ihrer Verdienste.

Prozess und Hinrichtung

Mit dem neuen Jahr 1431 beginnt nun der Inquisitionsprozess in Rouen. Jeanne hat keinen Anwalt und muss sich selbst verteidigen. Aus den Prozessakten geht hervor, dass sie dies mit großer Schlagfertigkeit und Intelligenz meistert, insbesondere, wenn es um Fangfragen geht. So möchte man sie zum Beispiel darauf festnageln, dass sie sich nicht der Autorität der Kirche beuge, und sie stellt klar, dass Gottes Wort für sie maßgeblich ist.

Der Prozess dauert fünf zermürbende Monate, in denen Jeanne trotz harter und entwürdigender Haftbedingungen standhält. Schließlich droht man ihr mit Folter und dem Feuertod und führt sie zum Scheiterhaufen auf dem Kirchhof von St. Ouen, wo sich schon Massen an Schaulustigen versammelt haben. Der gewünschte Effekt wird erreicht, denn Jeanne bricht zusammen und legt ein „Geständnis“ ab, indem sie ein bereits vorbereitetes Papier unterschreibt (wobei man davon ausgeht, dass sie nicht lesen und schreiben konnte, also den Inhalt des Textes nicht kannte). Sie schwört also offiziell ab. Als Resultat wandelt man ihre Strafe in eine lebenslange Haftstrafe um.

Das Tragen von Männerkleidung, das ihr ja auch einen gewissen Schutz vor Vergewaltigung bot, war ein Thema während des Prozesses gewesen. Jeanne befindet sich nun weiter in Gefangenschaft und trägt, wie man es von ihr erwartet, Frauenkleidung. Jedoch nach wenigen Tagen ändert sich die Situation schlagartig: Jeanne widerruft ihr „Geständnis“ und trägt auch wieder Männerkleidung, wobei sie angibt, man habe ihr die anderen Sachen weggenommen. Dies ist offenbar eine Falle, zumal die Engländer, die es auf ihren Tod abgesehen haben, nicht zufrieden sind mit dem Ausgang des Prozesses.

Nun geht alles ganz schnell. In einem neuen verkürzten Prozess wird festgestellt, dass sie rückfällig geworden und nun erwiesenermaßen eine Ketzerin sei. Am Morgen des 30. Mai 1431 führt man sie auf den Marktplatz von Rouen und verbrennt sie, ein 19-jähriges Mädchen, auf dem Scheiterhaufen. Um sicherzustellen, dass niemand ihre Überreste als Reliquien einer Märtyrerin verehren kann, wirft man diese in die Seine.

Die Tatsache, dass sie in einem späteren Prozess rehabilitiert und 1920 sogar seitens der katholischen Kirche heiliggesprochen wurde, ändert nichts an dem grausamen Verbrechen, das ihr angetan wurde.

Montségur

Mein nächstes Etappenziel ist ein kleiner Ort in den Pyrenäen, der nahe genug an dem sagenumwobenen Berg Montségur liegt. Hier halte ich mich einige Tage auf einem kleinen, schattigen Campingplatz auf und lese mich ein wenig in die Geschichte der Katharer ein.

Ich möchte an dieser Stelle nicht zu ausführlich werden, sondern nur einige Punkte aufführen, die ich interessant finde, und einen Einblick in ihre Geschichte liefern. Die Katharer, manchmal auch Albigenser genannt, waren eine erstaunlich große Glaubensgemeinschaft im 12., 13. und 14. Jahrhundert, die nicht nur im Süden Frankreichs sehr verbreitet waren, sondern auch in Italien, Spanien und Deutschland. Als Jeanne d’Arc die Weltbühne betrat, war die Zeit der Katharer bereits vorbei. Auch sie fielen der Inquisition zum Opfer, einem Machtinstrument, das die katholische Kirche ihretwegen um 1200 herum entwickelte und welches dann weitere 600 Jahre lang die Menschen in Europa in Angst und Schrecken versetzte.

Es ranken sich viele Mythen um die Katharer und ihre Geschichte inspirierte nicht nur Schriftsteller, sondern wurde auch von Ideologen für ihre politische Agenda instrumentalisiert. Was aber waren die Gründe für ihre Verfolgung?

Ähnlich wie andere Gruppen vor ihnen, wie zum Beispiel die Bogomilen in Osteuropa, strebten die Katharer ein christliches Leben im Sinne des Urchristentums an. Die Lehre Jesu stand im Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns. Während das Verhalten der Vertreter der katholischen Kirche mit ihrem Machtanspruch und ihrem oftmals schlechten Benehmen viele Menschen in Bedrängnis brachte, war es die Lebensweise der Katharer, die überzeugend wirkte. Zu ihrer Anhängerschaft gehörten viele Adlige, vor allem im Gebiet Languedoc in Südfrankreich, das auch heute noch als Katharerland bezeichnet wird. Eine Zeitlang existierte die Gruppe der Katharer friedlich und unbehelligt neben der römisch-katholischen Anhängerschaft. In den Gebieten, die von ihnen dominiert wurden, brauchten die Menschen zum Beispiel keinen Zehnten zu entrichten, man durfte seine Meinung frei äußern und Frauen waren gleichgestellt. Das katharische Gedankengut war dualistisch geprägt und die Ernährung war vegetarisch.

Interessanterweise wuchs die Gemeinschaft in kurzer Zeit stark an und stellte bald eine ernsthafte Konkurrenz zur Kirche dar, die nun ihren Machtanspruch gefährdet sah und behauptete, dass es außerhalb der römisch-katholischen Lehre keinen christlichen Glauben zu geben habe. Was folgte, war der von Papst Innozenz initiierte Katharerkreuzzug, ein Vernichtungsfeldzug gegen alle Katharer und ihre Symphatisanten, mit dem Ziel ihrer vollständigen Ausrottung. Dieser dauerte 20 Jahre und wurde ab 1229 durch die nun eingeführte Inquisition abgelöst. Städte wie Béziers und Carcassonne wurden regelrecht brutal entvölkert. Wer fliehen konnte, zog sich in eine der Burgfestungen der Pyrenäen zurück.

Burg Montségur galt während dieser Zeit als sicheres Refugium und hielt als letzter Zufluchtsort Okzitaniens noch bis 1244 stand. Im März dieses Jahres jedoch fiel die Festung nach neunmonatiger Belagerung. Die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln war abgeschnitten worden und die Bewohner waren gezwungen, die Burg zu verlassen. Vor die Wahl gestellt, entweder ihrem Glauben abzuschwören oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, war niemand unter den rund 200 Menschen, die die Burg verließen, der bereit gewesen wäre, seinen Glauben zu verraten. Und so fanden alle – bis auf vier Männer, die sich in der Nacht vor der Kapitulation abseilen konnten mit dem Auftrag, den Gemeindeschatz in Sicherheit zu bringen – den Tod in den Flammen des Scheiterhaufens, der am Fuße des Berges errichtet worden war. Diese Stelle ist heute mit einer Gedenksteele gekennzeichnet.

Soweit der Einblick in die tragische Geschichte von Montségur.

An einem schon fortgeschrittenen Nachmittag eines heißen Sommertages setze ich nun mein Vorhaben, mit Mowgli zur Burg hoch zu wandern, in die Tat um. Der Weg ist steil und die Hitze macht uns schwer zu schaffen. Mehrere Male müssen wir erschöpft pausieren und als ich schon mit dem Gedanken spiele aufzugeben, kommt mir von oben ein älterer Herr entgegen, der mich freundlich auf französisch anspricht und ermutigt, weiterzugehen. Dies gibt mir tatsächlich die Kraft, die ich für die letzte Etappe noch brauche. Als ich dann endlich im Inneren der Burg stehe, kann ich es kaum glauben.

Es sind nur eine Handvoll Leute und ein Reiseführer hier oben, der Neuankömmlingen ausführlich und begeistert die Geschichte von Montségur erläutert. Wenn niemand da ist, sitzt er im Gras und wartet.

Eine Zeitlang bin ich also fast alleine hier oben und kann die Atmosphäre aufnehmen. Die Stille ist belebt und je länger ich auf einem dicken Steinbrocken sitzend ruhig ein- und ausatme, desto glücklicher und friedlicher fühle ich mich. Es ist ein wunderbares Gefühl.

Ab und zu sehe ich mich um und frage mich, wie auf dieser doch eher kleinen Fläche innerhalb der Mauern über 200 Menschen Platz hatten. Wie sah es früher hier aus? Wie lebten sie? War es ein Dorf auf mehreren Ebenen mit Holzgebäuden und Podesten? Oder gab es Gebäude außerhalb der Mauern? Einige Hinweise gibt es auf dieser Seite: https://www.catharcastles.info/montsegur.php

Während der Reiseführer nun seinen Vortrag für ein Paar hält, das es auch noch hier hoch geschafft hat, trete ich durch die hintere Pforte nach draußen und sehe mich ein wenig außerhalb der Mauern um. Viel Platz ist auch hier nicht und es geht schon bald steil abwärts. Allerdings sieht man tatsächlich Überreste von Grundmauern.

Die Kraft des Meeres

Einige Tage später sitze ich mit meinem lieben Hund am Strand von Messanges und blicke auf den Atlantik. Was ich bis jetzt von Frankreich gesehen habe, hat mich tief beeindruckt. Welch ein wunderschönes Land! Dieses intensive Licht, in dem die Farben eine besondere Tiefe erhalten!

Jetzt genieße ich die bunte Strandatmosphäre und lasse die tragischen Geschichten erst einmal hinter mir, auch wenn sich das Gefühl völliger Unbeschwertheit nicht einstellen will. Kraftvoll rollen die hohen Wellen heran, brechen tosend in sich zusammen, kräuseln sich schäumend meinen Füßen entgegen und ziehen sich wieder zurück. Es ist wie Ein- und Ausatmen. Stundenlang könnte ich so sitzen und mit dem Meer atmen, dabei die klaren Blau- und Grüntöne und die frische weiße Gischt in meine Seele aufnehmen.

Es ist heilsam und energetisierend zugleich.

An einem Tag lehrt mich ein Schwimmversuch in der Brandung, dass die Kraft so stark sein kann, dass man ihr nichts entgegenzusetzen hat und es nur noch darum geht, sich zu retten.

Der Verlust meiner Brille bei diesem Schwimmerlebnis ist nicht der einzige Grund, weshalb es Zeit wird, die Reise zu beenden. Mowgli geht es leider gar nicht gut, er hat Fieber und muss behandelt werden. Auch die ausgedehnten Pinienwälder hier werden zu einer Gefahr. Etwas weiter nördlich brennen sie in diesem Sommer.

Ich beschließe, über Rouen nach Hause zu fahren. Rouen – der Ort, an dem man Jeanne umbrachte. Hier werde ich noch einmal einen Zwischenstopp einlegen und mir den alten Marktplatz ansehen, auf dem der Scheiterhaufen stand.

O Jeanne

Manch einer mag den Platz mit seinen schönen alten Fachwerkhäusern und den gemütlichen Cafés sehr ansprechend finden, ich aber bin schockiert. Der Platz wird dominiert von der Kirche Sainte-Jeanne-d’Arc und ich habe das Gefühl, dass das Gebäude mit dem angeschlossenen Säulengang wie eine Blockade wirkt. Was ist denn das für ein Dach? Es sieht aus wie ein Hut. Meine erste Assoziation ist „Hexenhut“, aber es stellt vielleicht doch eher einen Helm dar. Unweit der Hinrichtungsstelle prangt ein hoch aufgerichtetes schlankes Kreuz. Hier hat offenbar die Kirche noch einmal das letzte Wort gehabt.

Würdevoll hingegen erscheint mir das in die Wand eingravierte Zitat aus einem Gedicht von André Malraux:

„Ô Jeanne, sans sépulcre et sans portrait, toi qui savais que le tombeau des héros est le coeur des vivants.“

„O Jeanne, ohne Grab und ohne Porträt, du, die du wusstest, dass das Grab der Helden das Herz der Lebenden ist.“

Wie zur Bestätigung und damit dieses Zitat auf mich einen bleibenden Eindruck hinterlasse, kommt ein Mann auf mich zu und deklamiert diesen Spruch für mich mit einem tiefen dramatischen Gefühl.

Welch eine Reise!

Einen Tag später sind wir wieder zuhause. Mowglis Wunden heilen recht schnell, auch wenn sein Fell noch eine Weile braucht bis es ganz nachgewachsen ist. Ich aber brauche länger, all diese Erlebnisse und Erkenntnisse in die richtigen Worte fassen zu können. Man möge es mir nachsehen…

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